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ILLUSTRATION
illustrieren heißt von hier aus gesehen, in die lücken gehen, die zwischenräume zeigen und so das, was man nicht sieht, aber sehen könnte, sollte, wünschte, wollte, wirklich machen.
Michael Hammerschmid
Ich habe mich im riesigen Rhododendronbusch versteckt und von dort aus die Welt beobachtet.
Sabine Rufener
So wie beim Comic die Leserichtung von Panel zu Panel führt, so möchte ich, dass der Text zum Bild und das Bild zum Text leitet.
Bea Davies
Die Vorzüge der sequenziellen Erzählung – etwa für die Förderung von Lesekompetenz und -motivation – werden von Buchschaffenden wie auch Vermittler:innen vermehrt wahrgenommen und geschätzt.
Marlene Zöhrer
Sachwimmelbücher und wimmelige Sachbilderbücher reflektieren mit ihrem Maximum an visueller Information den gegenwärtigen visuellen »overload«.
Ines Galling
Ich schreibe schon immer Gedichte. Und das neue Buch ist nun eine Sammlung für alle, Kinder wie Erwachsene.
Jutta Richter
Diese Gedichte sind genau so, wie ich gerne hätte, dass meine Bilder sind.
Julie Völk über Jutta Richters Gedichte
Inhalt
Die 1002. Seite
Sabine Rufener
ist Franz Lettner
S wie Super – S wie Sachcomic
Marlene Zöhrer
Manuela Kalbermatten auf Besuch bei der Bildkünstlerin Sabine Rufener
Grenzenlos visuell
Ines Galling über wimmelige Sachbilderbücher
denk mal gedichte: könnt ihr illustrieren?
Michael Hammerschmid
Züngelzungen und fliegende Füchse
Heidi Lexe über das Illustrieren von Lyrik
Ich schreibe immer schon Gedichte
Jutta Richter im Gespräch mit Antje Ehmann
Auf Schiene
Julie Völk illustriert erstmals Lyrik
Alles retro
Silke Rabus
Die Farbe im Comic
Martin Reiterer
Wo Wissen über Illustration wächst
Hans ten Doornkaat
Der schönste Widerstand
Sarah Wildeisen im Atelier der Zeichnerin Bea Davies
"Pinocchio"
von Imre Dros & Carl Cneut (Ill.) ist zeitlos
"Ihre Hoheit Matsch, Prinzessin von Schlammland" von Beatrice Alemagna
wurde in der grund_schule der künste gelesen
Enemies to Friends: Groovy Love Poets
Eine Kolumne von Christine Lötscher
Liebe Leserinnen und Leser,
schon vor mehr als fünfzig Jahren hat der Medienwissenschafter Rudolf Arnheim Illustration als »Denken in Bildern« bezeichnet. Auf der 1002. Seite können Sie sehen, wie Nachdenken mit der Hand bei Sabine Rufener aussieht. Illustrationen erzählen, erklären, interpretieren und stellen Fragen. Sie sind Ausdruck einer künstlerischen Haltung und Werkzeug der Erkenntnis. Ganz unmittelbar anschaulich wird das in Sachcomics, die aktuell einen Höhenflug erleben: Vier der sechs 2024 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Sachbücher waren Comics. Als zuletzt der Deutsche Sachbuchpreis 2025 an Ulli Lusts »Die Frau als Mensch« ging, war das so was wie ein Ritterschlag für das Genre. Grund genug, Sachcomics für junge Leser:innen unter die Lupe zu nehmen – Marlene Zöhrer hat das für uns getan.
Apropos Lupe: 1968 ist mit Ali Mitgutschs "Rundherum in meiner Stadt" das erste Wimmelbuch im deutschsprachigen Raum erschienen – und es ist nicht mehr verschwunden. Dass es zur Zeit auch in vielen Sachbüchern wimmelt, ist aber doch überraschend: Wimmelbücher haben keinen Anfang und kein Ende, keine Hierarchie, keine vorgegebene Leserichtung. Und eignen sich doch, Sachinformationen zu vermitteln. Vielleicht weil sie als eine frühe Lektion in Sachen Aufmerksamkeit und Deutungskompetenz gelesen werden können? Ines Galling ist der wimmeligen Informationsvermittlung auf den Grund gegangen.
Ein weiterer Trend, den wir auf dem Feld der Illustration ausgemacht haben, ist voll retro. Wie in anderen Bereichen, in denen Design eine Rolle spielt, der Mode, Grafik oder Produktgestaltung, ist auch im Bilderbuch Vintage-Ästhetik angesagt. Silke Rabus hat einige Titel zusammengestellt, die mit ihren Farben, Mustern oder der Typografie auf vergangene Stilepochen verweisen, und sich gefragt, warum sie gegenwärtig so beliebt sind.
Dass Farbe kein ästhetisches Beiwerk ist, sondern ein wichtiges Werkzeug, zeigt sich nicht zuletzt im Comic. Wie Zeichner:innen und Kolorist:innen mit Farben den Blick der Lesenden leiten, Orientierung schaffen, Emotion sichtbar machen, für Tempo und Stimmung sorgen, das zeigt Martin Reiterer in seiner Einführung in die Grammatik der Farbe im Comic. Es ist eine Tour de Force vom Yellow Kid aus den 1890er Jahren bis zu aktuellen Alben.
Illustration ist angewandte Kunst, nicht nur Zutat zum Text, sondern eine künstlerische Praxis, die sich mit einem Gegenüber auseinandersetzt. Das können Sachinformationen sein, Fakten, aber auch Erzählungen oder Gedichte – immer ist die Herausforderung eine andere. Wie Lyrik mit und im Rahmen von Illustrationen präsentiert, inszeniert und transformiert werden kann, zeigt Heidi Lexe an ausgewählten Beispielen, in denen Zungen züngeln, Füchse fliegen und feine Vers- mit ebensolchen Illustrationskünstler:innen zusammen kommen. Darunter auch Julie Völk, die Jutta Richters neue Lyriksammlung mit Bildern ausgestattet hat. Auch über ihre Gedichte hat Antje Ehmann mit Jutta Richter gesprochen, Julie Völk erzählt, warum sie zuvor noch nie Gedichte illustriert hat.
Abgerundet wird der Schwerpunkt dieser Ausgabe von 1001 Buch mit Porträts zweier Künstlerinnen: Sarah Wildeisen hat Bea Davies in Berlin besucht, Manuela Kalbermatten war im Atelier bei Sabine Rufener in Basel. Die eine erzählt, wie sie auf Umwegen zur Illustration gekommen ist, die andere beweist, wie produktiv die Grenze zwischen Kinderbuch und Comic überwunden werden kann. Beide sind Forscherinnen, die in ihrer Arbeit über Medium, Material und die Funktion der Illustration nachdenken.
Nach diesen vielfältigen Einblicken in aktuelle Ausdrucksformen des Illustrierens können sie wie immer mehr als sechzig Rezensionen aktueller Neuerscheinungen nachlesen, dazu noch die traditionellen Empfehlungen der Redaktionsmitglieder am Jahresende. Viele der besprochenen und gelobten Bücher sind illustriert, jedes anders. Alle zusammen beweisen, wie ergiebig das Denken in Bildern sein kann.
Bleibt mir noch, Ihnen schöne Leseerlebnisse zu wünschen. Bleiben Sie uns gewogen.
Franz Lettner
Ein Garten der Möglichkeiten
Manuela Kalbermatten auf Besuch bei der Bildkünstlerin Sabine Rufener
Auf einmal war da ein Wal im Garten. Das war eine große Überraschung. Nicht nur für die Protagonistin Lille, die erst mal googelt und herausfindet, dass das riesige Tier, das ihr da die Sicht versperrt und »ein bisschen nach Meer« riecht, ein Pottwal ist. Auch für Sabine Rufener tauchte der Wal ganz plötzlich auf. Für ihr Abschlussprojekt an der Schule für Kunst und Design Zürich (SKDZ) war sie auf der Suche nach einer tragenden Idee. Dass es ein Bilderbuch werden sollte, stand für sie längst fest, denn Geschichten zu erzählen und sie selbst zu illustrieren: das sei in ihrem Leben stets der rote Faden gewesen. Und dann auf einmal dieses Bild im Kopf – eben ein Wal, ein Wal in einem großen, alten Garten: "Und damit ein Konflikt."
Im Netz erfährt Lille, dass Pottwale an Land nicht überleben, "ihre Lunge wird vom Gewicht zerdrückt". Was also tun mit dem riesigen, in jeder Hinsicht sperrigen Wesen? Das wusste Sabine Rufener auch noch nicht. "Das Bild dieses Wals im Garten hat mich umgetrieben", erzählt die 1972 in Bern geborene Künstlerin. "Also habe ich weitere Bilder entwickelt. Und mit ihnen ist die Geschichte entstanden. Ich wusste, dass das keine Freundschaftsgeschichte, sondern die Geschichte eines elementaren Konflikts wird. Und diese Geschichte habe ich in einem langen Prozess entwickelt, ohne dass ich abschätzen konnte, wie alles enden würde."
"Der Wal im Garten" war Sabine Rufeners erstes Bilderbuch. Es wurde 2021 im Kunstanstifter-Verlag publiziert und für den Serafina Preis für Illustration nominiert, den Nachwuchspreis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. In der Jurybegründung wird die "traumhafte surreale Welt" gepriesen, "die zugleich einen starken Bezug zur Realität behält". Ja, Heldin Lille ist ein Kind von heute, eine Digital Native. Der Garten aber erscheint, obwohl sehr greifbar, sehr materiell, sehr sinnlich, als Ort fast jenseits von Raum und Zeit. Gewaltige dunkle Blätter mit filigranster Zeichnung spenden dem gestrandeten Wal ihren Schatten; zarte Blüten und mächtige Farne verbinden sich zu einem Dickicht, in dem die Pfade verschlungen sind, aber zugleich alles möglich scheint, auch eine Verständigung oder zumindest: Empathie zwischen Wesen, die sich fremder nicht sein könnten.
kombiniert. Auch das war eine Suchbewegung, die sich in jedem Projekt wiederholt: Jedes Buch zeichnet sich durch eine andere Technik, einen neuen Stil, eine eigene Bildsprache aus. In "Emma und der traurige Hund", 2024 ebenfalls bei Kunstanstifter erschienen und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, hat Rufener die Farbstiftzeichnung gewählt. Für das erste Bild, das die erste Begegnung zwischen der erfinderisch-vitalen Emma und dem großen, struppigen, todtraurigen Hund zeigt, hat sie "ewig" gebraucht: "Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich bestimmt hundert Versuche angestellt habe, bis genau die Atmosphäre entstanden ist, die ich vermitteln wollte." Und so stehen sich Hund und Mädchen nun in der linken unteren Ecke gegenüber; klein wirken sie auf dieser Doppelseite, die vor verschwommenem Grau mit einem hellen Regen gefüllt ist. Doch während sich Regen und Tränen auf dem Gesicht des Hundes zu mischen scheinen, ist Emmas gelber Regenschirm ein zarter Hoffnungstupfer.
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Aladjidi & Tchoukriel: Steinpilz, Trüffel, Pfifferling
Alméras: Josephine und Josephine. Formen und Farben
Bach: Jakob und Jelena
Balen: Foxlight
Barnett & Smith: Ein Fest für den Weihnachtsmann
Bassermann-Jordan u.a. (Hg.): Jella Lepman: Journalistin, Autorin, Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek. Eine Wiederentdeckung
Cali & Clavelet: Der Club der Schweinchen
Collodi & Dros & Cneut: Pinocchio
Dabos: Die Spur der Vertrauten
Delaunay: Wale
Dybvik: Schlange stehen
Flix: Immerland
Furniss: The Things We Leave Behind
Gmehling & Damm: Ganz am Anfang war der Ball
Goedelt: Tierisch berühmt
Grossi: Die große Verdrängung
Gusella: Schnupperbunt
Guo: Ist okay
Harvey-Smith & Ryan: Quanten, Quarks und Relativität
Hein: Fake
Helfer & Runge: Rosie auf der Insel
Hunt: Wie man einen Yeti findet
IJB: Der Kinder Kalender 2026
Islington: The Will of the Many
Jäger: Das Feuer vergessen wir nicht
Janisch & Roher: Das Buch der Anfänge
Janisch & Wolfsgruber: Ich freue mich furchtbar sehr
Johnson: Es war einmal ein Schneesturm
Kirby: Lottie Brooks (Band 1–4)
Kling: Der Tag, an dem Max dreimal ins Auto gekotzt hat
Krügel: Inseltage mit Rosa
Kowalski & Composto: Alles über mein Herz
Laibl & Schwalbe: Na Zoowas!
Le Goff: Grrrizzly
Leitl: Wir sind ja nicht aus Zucker!
Malina: Selma, du machst das falsch!
Matsumoto: Tokyo dieser Tage (Band 1 und 2)
Mischitz: Pilze für Ahnungslose
MizieliĆscy: Carp City
Mohl: Die Insel der Schlasocks
Mühle: Das war doch keine Absicht!
Nielsen: Das falsche Leben
Oh: Das Mädchen aus der schwebenden Welt
Paterson & Deng: Jella Lepman und ihre Bibliothek der Träume
Raubaum & Pavoni: Schlich ein Puma in den Tag
Raubaum & Schlager: Komm, ich trag dich ein Stück, sagte die Schildkröte
Reifenberg & Maleek: Aristide Ledoux
Roeder: Frag Philomena Freud. Die Perlenspinne
Rundberg: Mika Mysteries. Der Ruf des Nachtraben
Schultz: Mauerpogo
Song: The Night Ends With Fire
Stegeman & Janssen: Schlauer, als du denkst
Stein & Grobler: Der Leuchtturmbär
Strid: Der fantastische Bus
Squilloni & Letelier: Das beste Tier der Welt
Sullivan: The Bitter Side of Sweet
Valentine: Zwei Seiten eines Augenblicks
Wahl: Hexe Hazel – Ein Jahr im Wald
Welsh: Ich fall mir selbst ins Wort
Zipfel & Flygenring: Leben, Sterben und Kaninchen
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