Liebe Leserinnen und Leser,
1001 Buch ist immer voll mit Kunst, schließlich ist Literatur eine ihrer Spielarten. Wenn daher außen, auf dem Umschlag, explizit »Kunst« draufsteht, muss also noch mehr davon als üblich drinnen sein. Und so ist es. Das ist ein Doppelpack: bildende und Sprachkunst, die auch in der Kinder- und Jugendliteratur zusammenkommen und gut miteinander können.
Das zeigt sich etwa in einem Beitrag über jene Meisterwerke aus der Kunstgeschichte, die als Zitat in Bilderbuchillustrationen oder als Erzählanlass in Prosatexten maßgeblich sind. Wo und warum die berühmteste aller Suppendosen und andere Ikonen der bildenden Kunst in den 1990er-Jahren auf Bilderbuchseiten vermehrt auftauchten, hat Silke Rabus vor knapp 20 Jahren unter dem Titel »Ein Zitat ist ein Zitat ist ein Zitat« analysiert (Sie finden diesen Beitrag in 1001 Buch digital plus). Jetzt hat die Kunsthistorikerin und Bilderbuchfachfrau der Redaktion Bilderbücher unter ihre Lupe genommen, die nach 2000 erschienen sind. Auch Claudia Sackl ist nicht ins Museum gegangen, um Meisterwerke zu sehen, sondern hat u.a. das »Meisterwerk« von Frank Cottrell Boyce gelesen, um zu sehen, wie der Brite und andere AutorInnen auf unterschiedliche Arten mit Kunst Geschichten erzählen.
Auch bildende Künstler selbst tauchen in Kinder- und Jugendbüchern auf, zumeist als ProtagonistInnen von biographischen Erzählungen. Ines-Bianca Vogdt stellt angesichts einiger Darstellungen von Kunst und Leben etwa Frida Kahlos, Louise Bourgeois’ oder Vincent van Goghs die Frage, ob diese Bücher den KünstlerInnen, ihrer Kunst und den LeserInnen gerecht werden. Letztere hat Anna Altzinger, Kunsthistorikerin und Elementarpädagogin, im Blick. Sie überlegt, welche Kindersachbücher zu und über Kunst tatsächlich für die Zielgruppe interessant sein könnten. Und nicht nur für kunstbeflissene Erwachsene, die ihre Kinder an Kunst heran- und dann in Museen hineinführen wollen. Dass man dort wiederum Gemälde, Skulpturen oder Erinnerungsobjekte nicht nur anschauen, sondern sehr viel mehr mit ihnen machen kann – sie decodieren, entwenden oder sich gar vor und neben ihnen küssen (was davon ist das größere Sakrileg?) –, weiß Christina Pfeiffer-Ulm. Sie hat Romane gelesen, die auch im Museum verortet sind.
Eine besondere Spielart des Zusammentreffens von bildender Kunst und Literatur stellen schließlich jene Erzählungen dar, in denen junge ProtagonistInnen selbst mit Kohle, Kugelschreiber und Pastellfarben auf Papier, Leinwand oder Haut künstlerisch tätig sind. Ela Wildberger hat aus so entstandenen (fiktiven) Bildern eine Ausstellung kuratiert und lädt zur Vernissage.
Schreibt man auf den Umschlag »Kunst«, kommt man in einem Fachmagazin, das sich zentral auch mit illustrierter Literatur befasst, nicht um die Frage nach dem Verhältnis von Bilderbuch und bildender Kunst herum. Dass darstellende Kunst, Literatur, Musik und eben bildende Kunst zusammen die sogenannten Schönen Künste bilden, steht kaum zur Debatte. Zur bildenden wiederum gehören fraglos Malerei und Grafik, Bildhauerei und Architektur. Und Illustration? Ist nicht so schön? Sondern »nur« eine Dienstleistung im Auftrag eines Kunden? Gebrauchskunst oder angewandte Kunst? Wozu zählt, ganz konkret, die 1002. Seite, die Zeichnung »Ich als Kind« von Christine Aebi, die als freischaffende Künstlerin in den Bereichen Malerei, Grafik, Bühnenbild und Illustration tätig ist. Ist dieses schöne Blatt Kunst? Angewandte Kunst? Gebrauchsgrafik? Und: Sind das banale oder Gretchenfragen? Zu ihrer Ansicht über das Verhältnis von Bilderbuch und Kunst haben wir die Verlegerin Suse Thierfelder (Kunstanst!fter Verlag), den Verleger, Publizisten und Lehrenden Hans ten Doornkaat (Atlantis Verlag) und den Illustrator Einar Turkowski gebeten.
Zum Erzählstrang Kunst und Bilderbuch gehören darüberhinaus noch weitere Beiträge: Jens Thiele fragt sich, wie viel »Original« in einem Bilderbuch steckt; Markus Weber erzählt über das Projekt »Zeich(n)en für Europa« – als politische Kunst hat die Illustration eine lange Tradition. Henrike Blum fordert die im Museum üblichen Hinweistafeln, auf denen u.a. über die Art der Farbe und den Malgrund Auskunft gegeben wird, auch im Bilderbuch. Heidi Lexe und Kathrin Wexberg analysieren Illustrationen zu biblischen Szenen im Kontext der Kunstgeschichte. Antje Damm zeigt praktisch, wie sie ihrer künstlerischen Tätigkeit nachgeht. Und schließlich präsentiert die Redaktion eine Ausstelllung von Illustrationen: JedeR hat ein Bild ausgewählt, das sie oder er gern zuhause hängen hätte (oder tatsächlich hat).
Was noch? Der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis, ein wichtiger Kunstpreis der Republik, wurde vergeben. Wir gratulieren den ausgezeichneten KünstlerInnen: dem Team um Christine Aebi und Lilly Axster, Irmgard Kramer, Jens Rassmus, Albert Wendt und Linda Wolfsgruber. Den Preisbüchern haben wir Beiträge gewidmet, die wiederum mit Kunst zu tun haben.
Auch die Nominierungen zum Deutschen Jugendliteraturpreis wurden – wie immer auf der Buchmesse in Leipzig – bekanntgegeben. Gut zwei Drittel der 30 Bücher haben wir im Lauf des letzten Jahres besprochen (eine Liste samt Links gibt es in 1001 Buch digital plus). Was mit dem restlichen Drittel passiert ist, steht im Freilos.
Der Rezensionsteil ist wieder reichlich gefüllt mit Besprechungen interessanter Frühjahrsneuerscheinungen (von denen dann einige im nächsten Jahr sicher hier und da wieder ausgezeichnet werden). Das ist die Kunst, mit der 1001 Buch immer voll ist. Wir verstehen uns als KuratorInnen, wählen für Sie aus der laufenden Produktion die interessantesten kinder- und jugendliterarischen Kunstwerke aus und bewerten sie kritisch. Es liegt an Ihnen, diese Auseinandersetzung lesend fortzusetzen.
Franz Lettner
Im Bilderbuch zum Bild finden
Anna Altzinger über Kunst-Bilderbücher
Max steht in einer Schlange. Vor ihm eine Reihe von Personen, die ihn locker um drei Köpfe überragen. Nicht verwunderlich, denn Max ist ein Kind. Mit einer blauen Kappe auf dem Kopf und einem Ticket in der Hand wartet er auf den Einlass ins Museum. Zweimal umgeblättert. Ein Ausstellungsraum, ein großformatiges Gemälde. Picassos »Guernica«, ich erkenne es sofort. Davor sechs nebeneinander stehende Personen. Sie betrachten das Bild an der Wand vor ihnen, ich betrachte ihre Rücken. Alles was dazwischen vom Gemälde zum Vorschein kommt, sind Hände, Füße und ein paar Köpfe. Körperteile nimm auch Max wahr, wenn er an den Beinen der Erwachsenen vorbeispaziert (siehe Illustration oben). Noch einmal umgeblättert. Eine andere Perspektive derselben Szene: die Bildbetrachter_innen sind jetzt von vorne zu sehen. Interessierte, fragende, konzentrierte Gesichtsausdrücke. Ich bemerke: nicht alle starren, wie vermutet, den Picasso vor ihnen an. Einer starrt auf sein Handy, ein anderer mustert Max. Max blickt zurück.
Während ich Max durch das textlose Bilderbuch »Kunst für Max« von Joanne Liu begleite, stelle ich fest: Was ich sehe und was Max zu sehen scheint, sind unterschiedliche Dinge. Mein Fokus beim Betrachten der Buchillustrationen liegt vor allem auf den darauf abgebildeten Kunstwerken, mein Gedächtnis rattert, wenn ich Namen der Künstler_innen und Titel der Werke abrufen will. Max hingegen erlebt die Gemälde mit dem ganzen Körper. Den Bildern von Rothko begegnet er lieber upside-down und entdeckt geometrische Farbflächen eben nicht nur in seinen Bildern, sondern in den Kleidungsstücken der Besucher_innen um ihn herum. Er nimmt also Stil und Inhalt wahr und verknüpft die erlebte Kunst mit seiner Umgebung. Dieses Buch macht kindlichen Leser_innen den Zugang leicht. Es rückt den Blick des Kindes ins Zentrum, spricht seine unmittelbare Lebenswelt an und macht das Kind mit Kunsterfahrungen und dem Museum als Einrichtung des Kunsterlebens vertraut.
Hoch, leicht schief, bunt und mit vielen Ecken und Kanten – diese zeitgenössische Skulptur aus Büchern ist gerade Teil meiner unmittelbaren Lebenswelt: Ich sitze an meinem Arbeitsplatz und denke über Kunst-Bücher für Kinder nach. Welche von diesen vielen Bücher sind tatsächlich für Kinder geeignet? Wie wird welches Sachwissen vermittelt? Wie versuchen diese Bücher, bei Kindern Interesse zu wecken?
Den gesamten Beitrag lesen Sie in 1001 Buch 2|19.
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Abadía, X.: Goliath
Axster, L. & C. Aebi (Ill.) u.a.: Ein bisschen wie du / A little like you
Bach, T.: Wörter mit L
Barilaro, C. von & M. Oetken (Hrsg.): Erzähl mir vom Tier
Bile, A. u.a.: Schamlos
Bonilla, R.: Geschwister!
Brooks, K.: Deathland Dogs
Canty, J.: Hinten und vorn
Cohen, S.: Mein rätselhafter Freund Rorty
Dahle, G. & S. Nyhus: Bösemann
Davey, O.: Die große Käferparade
Diterlizzi, A. & B. Wenzel (Ill.): Das große Summen
Eichinger, R.: Der Neue mit dem Aluhut
Ende, M. & W. Freund: Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
Enzerink, M. & P. Rauwerda (Ill.): Der Tag, an dem die Sonne nicht wollte
Fleming, A.: Ziegen bringen Glück
Gàg, W.: Millionen Katzen
Gehrmann, K.: Stadtbär
Grotrian, G. & S. Schädlich: Fragen an Europa
Günther-Keßler, K. & M. Zaeri: Vögel der Nacht
Hagerup, L.: Ein Bruder zu viel
Hoffmann, L.: Crossover
Holzwarth, W. & M. Zaeri: Mein Jimmy
Hout, Mies van: Einmal Katze sein
John, J. & L.|Smith (Ill.): Roberta & Henry
Korn, W.: Lauf um dein Leben
Krug, N.: Heimat
Laube, Ch. & M. Zaeri: Dornröschen
Leitl, L.: Königin für eine Nacht
Lemieux, M.: Gewitternacht
Linschinger, M. & S. Farhang (Ill.): Herr Pomeranz lernt lachen
Muser, M.: Manchmal muss man einfach verduften
Naoura, S.: Matti und Sami und die verflixte Ungerechtigkeit der Welt
Nordqvist, S.: Spaziergang mit Hund
Pacheco, G.: Die Dschungelbücher
Peixe Dias, M. A. u.a .: Die Natur
Puchner, W.: Willys Wunderwelt
Rabinowich, Julya: Hinter Glas
Rieder, F.: Wo ist Kater Ludwig?
Rossel, B. & M. Oberendorff (Ill.): Die wunderbare Welt der Insekten
Rundell, K.: Mitten im Dschungel
Sailer, S. (Hg.) & S. Büchner (Ill.): Sieben kecke Schnirkelschnecken
Schützsack, L.: Sonne, Moon und Sterne
Singer, N.: Davor und Danach
Sís, P.: Robinson
Smet, M.De & M. De Leeuw (Ill.): Hendrik zieht nicht um
Steinkellner, E. & Michael R. (Ill.): Vom Flaniern und Weltspaziern
Summers, C.: Sadie
Timmers, L.: Ein Haus für Harry
Varvasovszky, L.: Zwölf Häuser
Villiot, B. & A. Guilloppé (Ill.): Mephisto
Wheatle, Alex: Wer braucht ein Herz
Zeichnen für ein Europa
Zommer, Y.: Das große Buch der Krabbeltiere
Die Besprechungen können Sie in absehbarer Zeit auch in der Rezensionsdatenbank Rezensionen online lesen